Oswald Tschirtner

1920 - 2007

  • Ein Besen, 1972, Tusche auf Papier, 19,5 x 14,8 cm
  • Ein Tannenwald, 1988, Tusche auf Papier, 14,6 x 20,8 cm
  • Der Friede auf Erden, 1984, Tusche auf Papier, 21 x 14,8 cm
  • Segelschiffe, 1989, Tusche auf Papier, 14,8 x 21 cm
  • Ohne Titel (Heiligenbild), 1982, Tusche auf Papier, 30 x 22 cm

Geboren in Wien. Er erkrankt nach Militärdienst und Kriegsgefangenschaft an einer Schizophrenie und lebt ab 1947 im Landeskrankenhaus Maria Gugging in Österreich. In den 70er Jahren beginnt er auf Anregung Leo Navratils zu zeichnen.

Tschirtners Hauptmotive bilden verlängerte, menschliche Figuren, die er mit Tusche oder dünnem Eddingstrich in den Bildraum hochragen lässt. Zeichnerisch am unterem Bildrand anfangend, reduziert er so, ohne abzusetzen, aufs Äußerste minimalisierte Kompositionen heraus, die Menschen aus seiner Umgebung, christliche Heilige oder illustrierte Figuren zeigen.

Einsamkeit und Witz

Welche Rolle spielt es für die Kunst, ob ihr Schöpfer in einer psychiatrischen Klinik lebt? Nicht zuletzt die Bewohner des vom Arzt und Psychologen Leo Navratil gegründete Künstlerhauses in der psychiatrischen Klinik Gugging im österreichischen Klosterneuburg haben die Kunst der sogenannten Geisteskranken ein für allemal in der zeitgenössischen Kunstlandschaft etabliert. Oswald Tschirtner (Jahrgang 1920) ist einer von ihnen. Seit 1946 lebt er ununterbrochen in psychiatrischen Anstalten. Hatte er ursprünglich Pastor werden wollen und wegen Nichtzulassung zum Theologiestudium dann Chemie studiert, erlitt er als Soldat im Zweiten Weltkrieg in französischer Kriegsgefangenschaft eine Psychose. 1954 kam er nach Klosterneuburg. Als Leo Navratil in den siebziger Jahren das mittlerweile legendäre Künstlerhaus in Gugging einrichtete, hatte er das künstlerische Talent seiner Patienten längst entdeckt. Über die Therapie hinaus zeigten einige von ihnen eine unverwechselbare künstlerische Handschrift von atemberaubender Prägnanz und Sicherheit. So wurden von Oswald Tschirtner vor allem seine schmalen hochragenden Figuren bekannt, die er mit einer Linienführung vom unteren Bildrand anfangend ohne abzusetzen aufs äußerste reduziert; so gehen in diesen Figuren Einsamkeit und Gewitztheit eine bezaubernde Verbindung ein.

Neben diesem typischen Tschirtner - Motiven gibt es zahlreiche Blätter aus den siebziger Jahren auf denen der Künstler vielfach angeregt durch therapeutisch- thematische Aufgabenstellungen, die Menschen aus seiner Umgebung zeichnet.

Weil er jedoch zumeist keine allzu große Lust dazu hatte, fand er zu einem reduzierten Strich, der seither die besondere Klasse und Prägnanz seiner Kunst ausmacht. Die mit feinen schwungvollen Linien gezeichneten Porträts zeigen zahlreiche mittlerweile verstorbene Künstler, die in den Anfangsjahren im Künstlerhaus Gugging lebten. Mit ein paar schlichten Kreisen hat Tschirtner im Hintergrund Fenster angedeutet. Trotz der zeichnerischen Schnelligkeit hebt er wesentliche Details heraus. Interessant sind auch einige illustrierende Interpretationen, etwa zum Struwwelpeter und zur Geschichte der Heiligen Drei Könige. Auch wenn Tschirtner von sich aus wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen wäre, Zeichnungen anzufertigen, lassen seine minimalen zeichnerischen Lösungen keinen Zweifel daran, dass er in der Kunst seine Element gefunden hat. Und manchmal kommt er dabei sogar zu Lösungen, in denen ein einziger Strich zum Bild wird.

Jürgen Kisters